Wissenswertes rund um das Verkehrsrecht

2024-04-04

BGH konkretisiert Werkstattrisiko in mehreren Urteilen vom 16. Januar 2024

Personen, die unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt werden, haben das Recht, die Kosten für die Reparatur ihres Autos erstattet zu bekommen - selbst dann, wenn die Werkstatt Positionen berechnet hat, die in Wirklichkeit nicht entstanden sind. Der BGH hat dies klargestellt und seine bisherige Rechtsprechung zum Werkstattrisiko präzisiert.

Gemäß § 249 Abs. 2 BGB hat der Geschädigte eines Verkehrsunfalls das Recht, sein beschädigtes Fahrzeug zur Reparatur in eine Werkstatt zu bringen und vom Verursacher des Unfalls den dafür erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Der VI. Zivilsenat, der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständig ist, hat nun in fünf Revisionen entschieden, in denen die Frage aufkam, wer das sogenannte Werkstattrisiko trägt. Dies betrifft die Situation, wenn der Unfallverursacher behauptet, dass die Rechnung der Werkstatt überhöht sei.

Gemäß der bisherigen Rechtsprechung liegt das Werkstattrisiko grundsätzlich beim Schädiger. Wenn der Geschädigte sein beschädigtes Fahrzeug einer Fachwerkstatt zur Instandsetzung übergibt, ohne selbst Schuld an dem Schaden zu haben, sind die anfallenden Reparaturkosten daher auch dann vollständig ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt überhöht sind und somit nicht im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich sind.

Die Präzisierung des Werkstattrisikos erfolgte durch fünf Revisionsentscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 16.01.2024 - VI ZR 38/22, VI ZR 239/22, VI ZR 253/22, VI ZR 266/22, VI ZR 51/23). Insbesondere im Fall VI ZR 253/22 wurde festgestellt, dass das Werkstattrisiko nicht nur auf Rechnungspositionen anwendbar ist, die aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Ansätze von Material oder Arbeitszeit überhöht sind. Auch Rechnungspositionen, die auf tatsächlich nicht durchgeführte Reparaturschritte und -Maßnahmen entfallen, sind im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger ersatzfähig, da die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfindet. Eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit der Reparaturkosten im Schadensersatzprozess zwischen Geschädigtem und Schädiger ist aufgrund des Werkstattrisikos nicht erforderlich.

Des Weiteren wurde vom VI. Senat klargestellt (VI ZR 51/23), dass der Geschädigte grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine Fachwerkstatt keinen unwirtschaftlichen Weg für die Schadensbeseitigung wählt. Er ist nicht verpflichtet, vor der Beauftragung der Fachwerkstatt ein Sachverständigengutachten einzuholen und den Reparaturauftrag auf dieser Grundlage zu erteilen. Auch führt allein die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Auswahl des Sachverständigen durch die Werkstatt nicht zur Annahme eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens.

Die Anwendung der Grundsätze zum Werkstattrisiko setzt nicht voraus, dass die Reparaturrechnung bereits beglichen wurde. Wenn der Geschädigte die Rechnung nicht beglichen hat, kann er die Zahlung der Reparaturkosten nur an die Werkstatt verlangen, nicht an sich selbst. Denn eine Abtretung etwaiger Gegenansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt an den Schädiger ist rechtlich nicht möglich, wenn der Geschädigte trotz Erhalt der Schadensersatzleistung von der Zahlung an die Werkstatt absieht. In diesem Fall würde der Geschädigte durch den Schadensersatz bereichert, während der Schädiger benachteiligt wäre. Wenn der Geschädigte die Zahlung des (Rest-)Honorars an sich selbst verlangt, trägt er selbst das Werkstattrisiko im Schadensersatzprozess.

Zusätzlich steht es dem Geschädigten frei, vom Schädiger statt Zahlung die Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber der Werkstatt zu verlangen gemäß § 308 Abs. 1 ZPO. Sein Anspruch richtet sich dann grundsätzlich und bis zur Grenze des Auswahl- und Überwachungsverschuldens danach, in welchem Maße er durch die Verbindlichkeit gegenüber der Werkstatt beschwert ist.

In den Fällen VI ZR 38/22 und VI ZR 239/22 entschied der Senat außerdem, dass die Option des Geschädigten, sich auch bei unbeglichener Rechnung auf das Werkstattrisiko zu berufen, nicht durch Abtretung auf Dritte übertragen werden kann. Der Schädiger hat ein schutzwürdiges Interesse daran, dass der Geschädigte sein Gläubiger bleibt, da nur im Verhältnis zu diesem die Durchführung des Vorteilsausgleichs möglich ist.

ProMandant - 19:15:42 @ Rechtsprechung